Andreas Braun hat sie gehalten. Am 12. Juni 2022 – TREIBHAUS.
Lieber gastfreundlicher pater familias Norbert (Pleifer), liebe subversive Störenfriede unserer geriatrischen Sonntagsruhe, Flaneur Herbert (Waltl) und Skulpteur Alois (Schild), liebe illustre Gäste einer ominösen Zusammenrottung, deren Teilnahme äußerst geschickt durch die versprochene Remuneration in Form einer Schild’schen Banderole gepusht wurde.
Angesichts Eurer hohen Präsenz darf ich ja folgern, dass Ihr genauso wie ich das Versprechen eines Schild’schen opus memorabile echt, physisch und handfest interpretiert habt…..kurzum etwas, was man haptisch und getrost mit nach Hause tragen kann …….ohne dass wir uns komplizierte Codes merken müssten für jenen Fall, dass das Schild’sche Metallfähnchen zeitgeistig in Form eines NFT eines Non Fungible Tokens, der mit zweifelhaften Rechten versehen unikat in einer Blockchain schlummert, ausgelobt worden wäre.
Diese kryptischen Bits und Bytes könnten auch den Herbert und den Alois inspiriert haben, das heutige bunte Treffen mit viel Mühe ins Leben zu rufen, wofür wir ihnen einen kräftigen Applaus spendieren!
Nach den ernüchternden virtuellen Exerzitien der letzten beiden Corona Jahre soll es nämlich heute ein Zurück zum geselligen Umtrunk, zur sinnlichen Begegnung und zum spontanen Hoangart geben….hic et nunc auf beiden Beinen nicht auf digitalem Treibsand, sondern leibhaftig im Treibhaus stehend, diesem ewig jungen Installationsunternehmen, das unser schweratmiges Landl mit sozio-kultureller Frischluft aus heimischer und ausländischer Provenienz verlässlich und widerständig versorgt.
Stichwort Widerständigkeit, ein diffuser Begriff, den ich zunächst wie folgt hinterfragen möchte:
In welchem Maße können die siamesischen Drillinge nämlich Kulturschaffende, Wissenschafter und intellektuell ambitionierte Menschen auf das reale Leben von Gemeinschaften einen Einfluss nehmen bzw. welchen Widerstand können sie gegenüber der kollektiven Dummheit, Phantasielosigkeit und Zukunftsvergessenheit leisten?
Einige aktuelle Analysen untermauern einen desillusionierenden Befund: einerseits nehmen die Inhalte künstlerisch/wissenschaftlicher Werke zu wenig Bezug auf die alltäglichen Herausforderungen unserer Lebensprosa und andererseits scheuen die Autoren derselben oftmals in biedermeierlicher Distanz das Hervortreten an die Lichtung des öffentlichen Diskurses und steigen schon gar nicht in die Niederungen der schmutzigen Politik hinab.
Somit wird künstlerische Imagination und wissenschaftlicher Sachverstand nur von einer marginalen Bevölkerungsschicht von unter fünf Prozent der Gesamtbevölkerung rezipiert. Würde ein größerer Teil der Bevölkerung sich an den Früchten von Kunst und Wissenschaft laben, dann würde – so behaupte ich einmal apodiktisch – dieser Fruchtgenuss der Gesellschaft vielfachen Nutzen bescheren! Das ist zumindest mein unerschütterliches aufklärerisches, demokratiepolitisches und optimistisches Credo! …den vielen Skeptikern und breiten Kreisen der Bevölkerung zum Trotz, die den in ihren Augen schmarotzenden und opportunistischen Windhunden in Kunst und Wissenschaft eine konstruktive gesellschaftspolitische Fermentation nicht zubilligen.
Nach diesem Aufruf zur vermehrten Intervention noch ein paar Gedanken zur vielstöckigen Widerständigkeit:
Im Apfelgarten des Paradieses ereignete sich ein fundamentaler initialer Regelbruch, ein Sündenfall, ein Ende der aetas prima, des Goldenen Zeitalters, was in vielsinniger Weise mit der Frau-Mann Dialektik sowie mit Wissenschaft und Kunst, sprich mit Neugier und Phantasie zusammenhängt.
Das Diktum „Die Frau ist kein Raubtier, sondern die Beute, die dem Raubtier auflauert“ des Ortega y Gasset oder die Klage des Mephisto vor dem Herrn über „den kleinen Gott der Welt, dem lieber nicht der Schein des Himmelslichts sprich Vernunft hätte gegeben werden sollen, da er sie doch braucht allein, um tierischer als jedes Tier zu sein“ werfen ein paar Lichtstrahlen in das anthropologische Dunkel, in welchem die laut Nietzsche nicht festgestellten Tiere oder die laut Köstler Irrläufer der Evolution seit dieser Austreibung aus dem Paradies tappen.
In Zeiten des Transhumanismus und der multiplen Identitäten erinnern wir uns dabei an Max Scheler, der meinte, dass im Anthropozän angekommen sich der Mensch selbst völlig und restlos problematisch geworden sei…er wisse nicht mehr, was er ist, zugleich wisse er aber auch, dass er es nicht weiß!
Vor diesem Hintergrund einer prinzipiellen Unsicherheit über die Position des Menschen im Weltgefüge pendelt die Kulturgeschichte der Menschheit seit Adam und Eva zwischen Regelbruch und Bestrafung, Widerstand und Repression, Disruption und Kontinuität, Schuld und Sühne, Innovation und Systemerhaltung, Fortschritt und Rückschritt, wobei in technologisch-naturwissenschaftlicher Hinsicht der Fortschritt – der Verbrennung des Giordano Bruno im Jahre 1600 zum Trotz – auf allen Fronten, selbst in den politisch reaktionärsten Ländern der Erde, obsiegte.
Die Sehnsucht nach Neuem und Anderem lässt weiterhin den faustischen Homo Faber brillante Zukünfte in realistische Nähe rücken: Lahme werden gehen, Taube werden hören, Blinde werden sehen und Sterbliche werden laut Ray Kurzweil im Singularity Moment durch die Einpflanzung von Nanobots unsterblich dahin altern.
Die Tragik dieser glänzenden Fortschrittsgeschichte besteht jedoch im berechtigten Zweifel, ob die Wissenschaft auch taugliche Wirkstoffe gegen ideologische Verblendung und populistische Verblödung erfinden wird, wiewohl sie gleichzeitig im Large Hadron Collider in Genf den Geheimnissen des Urknalls auf der Spur ist und in zwei Jahren mit Space X einen Ausflug zum roten Planeten plant.
Realistischerweise bleibt mein Zweifel im Hinblick auf die globalen Wirtschafts- und Machtinteressen ein bloß „rhetorischer Zweifel“ und die Aussicht auf ein besseres Leben für den Großteil der 7,991 Mia Menschen ( Zahl vorgestern an der Weltbevölkerungsuhr abgelesen ) auch angesichts drohender ökologischer Katastrophen eine düstere!
Kurzum: die oben genannte Sehnsucht nach Neuem und Anderem zeitigt sensationelle Errungenschaften, kann jedoch dieselben nicht ausreichend in die Lebensrealitäten übersetzen. Die Sehnsucht nach einem verbesserten globalen und solidarischen Bonum Commune bleibt ungestillt und bildet daher den Humus für das wachsende Misstrauen gegenüber unserem Verständnis von Kunst und Wissenschaft, das nicht auf doktrinärem Wahrheitsbesitz, sondern auf dem Prinzip von trial and error beruht, bei welchem proportional zu einem marginalen Erkenntnisgewinn die Demut vor der sich gleichzeitig erweiternden Dimension des Nichtwissens wächst.
Wie schon paradigmatisch bei Dostojewski in „Die Brüder Karamasow“ dargestellt, siegte früher und dominiert heute meist Macht über Freiheit und der schlimmste aller Ketzer, nämlich Jesus Christus, landet im Roman nicht am Kreuz, sondern auf dem Scheiterhaufen. Du hast kein Recht wieder zu kommen, um die Ordnung zu stören, kanzelt ihn der greise Großinquisitor ab. Der widerständige Jesus Christus erträumte die individuelle Gewissensfreiheit bei religiöser Hoffnung und Bindung jenseits jeglicher autoritärer Staatskirchen.
Als der Großinquisitor ihm erklärt, dass die Menschen in ihrer Freiheit überfordert seien, schwieg er und küsste den Greis auf den Mund. Baruch Spinoza, der erste säkulare Jude, leistete intellektuellen Widerstand gegen die Märchen der Bibel und wurde 1656 von der portugiesischen Synagoge in Amsterdam mit dem Cherem, dem ultimativen Bannfluch belegt, das heißt verflucht, verwünscht und zum Aussätzigen erklärt.
Weltweit erleben wir den Fortbestand und vielfach eine Renaissance solch reaktionär-totalitären Denkens, sowohl in säkularen Echokammern, hauptsächlich jedoch in den diabolischem Mesalliancen von Staat und Glaubensgemeinschaften von Russland bis Indien, von Brasilien bis in den Iran!
Was könnte nun im Hinblick auf meine eingangs erwähnte Analyse über unseren zu geringen Einfluss auf die Lebensrealitäten und im Hinblick auf meinen nach wie vor ungebrochenen aufklärerischen Optimismus die Conclusio und Essenz meines tour d’horizon rund um den Begriff Widerständigkeit sein?
Ganz einfach: In der Metapher der gestörten Sonntagsruhe verharrend meine ich, dass wir die oftmals unerträglich reaktionäre Ruhe in unserem heiligen Landl Tirol schmerzhafter, lauter und sichtbarer stören müssten und wesentlich mehr intellektuellen Widerstand gegen all die Energie-, Abfall-, Raumordnungs-, Gastfreundschafts-, Agrargemeinschafts-, Fronleichnamsprozessions-, Verkehrs-, Wohnbau- und Alternativlosigkeitsmärchen, die uns proportional zur wachsenden Politik- und Medienverdrossenheit immer teurer, intensiver und obszöner um die Ohren und Augen gefächelt werden, leisten müssten!
Tauschen wir doch die alternativen Dummheiten unserer Jugend gegen die alternativen Torheiten fortgeschrittenen Alters aus und tragen auf diese Weise ein wenig bei, das angeblich freiheitsliebende Land Tirol auch zu einem nachhaltigen Ort geistiger, sprich künstlerischer und wissenschaftlicher Freiheit mit vermehrtem gesellschaftspolitischen Impact fortzuentwickeln.
Das dürfen wir uns auch im Namen vieler heute leider nicht mehr anwesender GesinnungsfreundInnen der 80 er und 90 er Jahre demonstrativ genannt Johannes Atzinger, Werner Pirchner, Egon Scoz, Haimo Wisser, Chryseldis Mitterer, Gerhard Crepaz und Hans Haid wünschen!
Andreas Braun
Dr. Andreas Braun, geb.12.4.1946 in Kitzbühel. Von 1969 bis 1982 als Verwaltungs- und Verfassungsjurist im öffentlichen Dienst tätig. Ab 1982 Leiter der Tirol Werbung; in dieser Funktion setzte Braun eine Reihe innovatorischer Akzente, von der Bildsprache bis zur digitalen touristischen Vernetzung (Gründung der TIS Ges.m.b.H). Anfang 1995 wechselte Braun als Kommunikationsmanager zur Swarovski-Gruppe. Als erste Initiative gelang es ihm, die „Swarovski Kristallwelten“ als neues Pilotprojekt einer Verschmelzung von Industrie, Tourismus und Kultur erfolgreich kommerziell und kommunikativ zu positionieren sowie eine neue Unternehmensidentität für einen traditionellen Industriebetrieb zu formen. Die Swarovski Kristallwelten sind das erfolgreichste Modell eines sogenannten „third place“ in Europa und rangieren nach Schönbrunn als eine der bestbesuchten Attraktionen Österreichs. Braun ist bis Ende 2011 Geschäftsführer der d. swarovski tourism services gmbh, die neben den Swarovski Kristallwelten und Swarovski Innsbruck auch Swarovski Wien betreibt. Von Anfang 2012 bis Ende 2015 ist Braun Geschäftsführer der Destination Wattens Regionalentwicklung Gmbh (u.a. Konzeption der „Werkstätte Wattens“). Vielseitige internationale Vortragstätigkeit und essayistische Beiträge zu Kultur, Wirtschaft und Tourismus in diversen Medien.
One response to “Die Laudatio”
Hallo! Manchmal wünsche ich mir mehr solcher Artikel. Vielen Dank. Grüße